An die russische Grenze

Bis Semei ist die Straße ein Traum. Feinster Asphalt und wenig Verkehr. Man glaubt dass man alleine auf der Welt ist bis wieder ein kleines Dorf in einiger Entfernung links oder rechts der Straße auftaucht. Das Wetter hat sich beruhigt und es gibt fallweise blauen Himmel und Sonnenschein, dennoch ist es ziemlich kalt.

Semei ist eine Industriestadt und wir suchen ziemlich herum bevor wir das Nomad Hotel finden. Das ist allerdings erstklassig und da für den nächsten Tag Regen angesagt ist bleiben wir zwei Nächte.

Anscheinend ist an diesem Wochenende Schulschluß, denn in der ganzen Stadt gibt es Gruppen von fesch angezogenen Burschen und Mädchen, die vermutlich ihr Zeugnis feiern.

Wir feiern den Ruhetag unserer Reise mit einem Stück Torte (ich) und einem Donut (You Song) aus der Konditorei.

Über die kasachische Steppe

Von Almaty bis an die russische Grenze sind es über tausend Kilometer. Davon sind dreihundert „good road“ und siebenhundert „very bad road“ wie man uns sagte. Die „good road“ haben wir hinter uns, das war die Strecke bis Taldiqorqan, feinste Autobahn. Jetzt geht’s ans Eingemachte. Wir fahren los und… asphaltierte Bundesstraße. Zwar mit Schlaglöchern, stimmt, aber im Pamir hätten wir uns diese Straße gewünscht. Mit der Zeit wird sie noch etwas schlechter, manche Passagen sind schon heavy, aber dann kann man wieder kilometerlang im fünften Gang dahincruisen. Wieder fasziniert uns die Landschaft, allerdings kann ich nicht viel nach links und rechts schauen, sonst springt mich unversehens ein tiefes Schlagloch an.

Wir halten bei einer kleinen Fernfahrerbude wo es eine gute Suppe und andere Speisen gibt. You Song ist gottseidank wieder bei Appetit und da geht’s mir auch gleich besser. Plötzlich kommt ein Kasache herein und zeigt mir in Zeichensprache ein Fahrzeug das umfällt. Einer der geparkten LKWs wird’s wohl nicht sein, also gehe ich hinaus und wirklich: die BMW liegt auf dem Rücken und streckt beide Patschen in die Höhe. Der Asphalt hat unter dem Seitenständer nachgegeben und sie hat sich hingelegt. Es braucht drei Kasachen und mich, um sie wieder auf die Beine zu stellen, dann mache ich eine Schadensbilanz. Die Befestigung der linken ToolTube ist ausgerissen, der linke Blinker hat sich wieder zerlegt und da liegt ein Stück Metall. Leider gehört das auch zur BMW. Nach kurzer Suche ist klar: nichts Lebenswichtiges, sondern die untere Halterung des linken Seitenkoffers ist abgebrochen. Die fixiert den Koffer damit er nicht wackelt und am Auspuff ankommt. ToolTube und Blinker sind schnell repariert, der Seitenkoffer ist auch ohne die abgebrochene Strebe arretiert, außerdem liegt da unser ganzes sonstiges Gepäck drauf, also verlieren können wir den nicht. Ich widme mich wieder meiner Suppe, dann fahren wir weiter.

Unterwegs sehe ich im Geist aber Bilder einer brennenden BMW, weil das Plastik vom Seitenkoffer am Auspuff schmilzt und Feuer fängt. Ich bleibe also stehen, sehe dass nichts schmilzt aber zur Sicherheit schnitzt der clevere Norbert einen Stock von einem Strauch am Straßenrand und klemmt ihn zwischen Koffer und Auspuff. McGyver ist mein zweiter Vorname.

Als es Abend wird tanken wir und gegenüber ist praktischerweise gleich ein kleines Hotel. Ich wäre nie draufgekommen, denn die Aufschrift ist kyrillisch (und nein, es steht nicht „Hotel“ auf kyrillisch drauf), aber der Tankwart zeigt mit dem Finger hin und dann hab ich’s kapiert. Also eingecheckt und ab in die Heia.

Am Morgen sehe ich dass unter dem Türstock zum Schlafzimmer ein Tier mit vielen Beinen wohnt. Gottseidank ist es nicht in der Nacht kuscheln gekommen. Ab jetzt zeigt die kasachische Steppe ihr wildes Gesicht. Die Straße ist ein gerader Strich bis zum Horizont, links und rechts ist alles brettleben. Es fahren auch kaum Autos, nur manchmal Fernlaster und hier und da Privatautos. Erstaunlich viele stehen mit einer Panne am Straßenrand, meist sind es Reifenschäden, was bei der Piste aber nicht wundert. Unser Motorrad brummt ungerührt dahin, ich muss nur Slalom zwischen den Schlaglöchern fahren. Gegen drei Uhr kommen wir nach Ayrob, einer etwas größeren Stadt mit einem Armeestützpunkt. Hier rasten wir in einem kleinen Hotel.

Ach ja, beim Einparken im Hof bin ich schon wieder auf der Schnauze gelegen. Motor in der Kurve abgewürgt – pardautz. Die BMW hat nix, nur mein Stolz ist arg angeknackst. Zuerst machen ein paar kasachische Mädels Fotos mit mir und dem Motorrad, dann kugle ich über den Hof. Die haben sehr gelacht. Ich weniger.

Kleine Zwischenbilanz

Heute bleiben wir in Taldiqorgan (oder wie man das schreibt). You Song ist nicht auf dem Damm mit Magenproblemen, draußen ist strahlender Sonnenschein aber Sturm und es ist ziemlich kalt. Unser Hotel ist super, das Zimmer im elften Stock sehr bequem und die BMW steht sicher in der Garage.

Gestern hat sie in Almaty ein Gesamtservice bekommen, alles gecheckt und gewaschen. Jetzt läuft sie wieder super.

Zeit also, eine kleine Zwischenbilanz zu ziehen. Bis Ulan Bataar sind es noch geschätzte dreitausend Kilometer, die Mehrzahl davon allerdings auf schlechten bzw. keinen Straßen. Wir rechnen mit etwa zwei Wochen Fahrzeit bis dorthin. Dann entscheidet es sich: wenn wir ein chinesisches Visum bekommen werden wir doch den kurzen Weg zur Fähre nach Tianjing nehmen. Falls nicht müssen wir wie geplant um China herum nach Vladivostok fahren und von dort die Fähre nach Korea nehmen. Das wären dann nochmals etwa dreitausend Kilometer durch Russland.

Wie schaut also unsere Zwischenbilanz aus?

Verlorene Dinge:

  • 1 Fuelfriend Benzinflasche (noch eine vorhanden)
  • 2 Gummibandbefestigungen (noch vier vorhanden)
  • 2 Befestigungsschrauben am Unterbodenschutz(in Almaty erneuert)
  • 1 Schneidezahn von You Song (noch drei vorhanden)
  • 1 GoPro Hero 3 (China-Klon noch vorhanden)
  • 1 Haltetuch an meiner Motorradjacke (wo sich You Song festhält wenn sie hinter mir sitzt, ist wahrscheinlich vom Waschen im Hotel nicht zurückgekommen- eines ist noch da)
  • Gewicht (sowohl You Song als ich sind schlank geworden)
  • 2 Wasserflaschen (wir haben beim nächsten Greißler neue gekauft)
  • 2 Geldsäckchen mit jeweils vierhundert Dollar (die sind aus meiner Motorradjacke rausgefallen, aber You Song hat es gleich bemerkt, seitdem sind die Säckchen extra angenäht)
  • 1 BMW Emblem auf dem hinteren Kotflügel (hat sich noch vor dem Pamir verabschiedet)
  • Etwas Unbekümmertheit (der schwierigste Teil mit dem Pamir liegt zwar hinter uns, aber vor den unbefestigten Straßen in der Mongolei habe ich Respekt und etwas Federn)

Im Großen und Ganzen geht es uns aber gut. Wir haben fantastische Landschaften gesehen, nette Leute kennengelernt und unvergessliche Erfahrungen gemacht. Wir sind daher guter Dinge, auch den Rest unserer Reise gut hinter uns zu bringen.

Gestern hatten wir eine seltsame Begegnung. Bei voller Fahrt überholte uns ein Auto, aus dem Seitenfenster winkte eine ältere Frau mit einem Geldschein und wir mussten anhalten. Wir wurden zwar schon oft angehupt, begrüßt und mit „Daumen hoch“ überholt, aber nicht zum Anhalten genötigt. Der Fahrer – ein älterer Herr – und seine Frau stiegen aus, die Dame drückte mit einen zweihundert Tenge Schein in die Hand und beide redeten sehr freundlich auf uns ein, wovon ich nur „Guten Tag“ auf Deutsch verstand. Danach stiegen sie wieder in ihr Auto und fuhren weiter. Wir überlegten lange, was das bedeutete. Wahrscheinlich hatten beide irgendeine Beziehung zu Österreich, womöglich noch aus dem Krieg, und freuten sich uns zu sehen. Den Geldschein heben wir jedenfalls als Glücksbringer auf.

Welcome to Kasachstan

Schönes Wetter als wir losfahren und die kasachische Grenze ist auch nicht weit. Ich schleiche mit vierzig dahin um den kirgisischen Räubern keinen Anlass zu bieten uns zu piesacken. Alle anderen brausen an uns vorbei, aber das ist mir egal. Kein Lösegeld mehr von mir in Kirgisistan. Schon sehe ich das Zollhaus nach Kasachstan, davor ein offener Schranken. Ich rolle langsam vor, da – ein schriller Pfiff! Aus einem Häuschen auf der linken Seite naht ein Uniformierter. Scheiße! Doch noch erwischt. Absteigen, Pässe zeigen, mitkommen. Ob ich nicht gesehen habe, dass man hier stehenbleiben muss? Nein, habe ich nicht, umso weniger als auch alle anderen Einheimischen durchfahren. Der General wedelt mit seinem Protokollblock. Den kenne ich schon vom letzten Mal. Dann öffnet er die Schreibtischlade und sagt „Dreißig Dollar.“ Natürlich auf Kirgisisch aber ich weiß schon was gemeint ist. Ich versuche auf armer Student zu machen aber irgendwie nimmt er mir das nicht ab. Vielleicht die weißen Haare im Bart? Im Verhandeln bin ich schwach, ich sehe fünfzehn hungrige kirgisische Kinder um einen leeren Tisch sitzen, die warten bis der Vater Essen nach Hause bringt. Also stecke ich dreißig Dollar in den Opferstock und reiße mich zusammen, nicht noch zwanzig weitere hinterher zu werfen. Dann dürfen wir die zwanzig Meter bis zum Zollhaus weiterfahren.

Dort geht es relativ rasch, You Song muss absteigen und den Weg für Fußgänger nehmen, ich kämpfe mich mit dem Motorrad durch zwei, drei Stationen, bevor mir ein Mensch mit einer besonders großen Mütze bedeutet: „Nach links in die Halle zur Zollkontrolle!“. Dort nehmen sie’s eher locker, nachdem wir die Frage, ob wir Marihuana mithaben verneinen (ich schaue wahrscheinlich  doch noch wie ein verkrachter Student aus) müssen wir nicht unser ganzes Gepäck auspacken sondern unterhalten uns mit den Zollkontrolloren wiederum über die BMW. Dann öffnet sich das Tor und wir sind in Kasachstan.

Kasachstan präsentiert sich als weites, grünes, hügeliges Land. Eine nette Abwechslung nach der schroffen Bergwelt in Kirgisistan. Nach Almaty sind es nur etwa zweihundert Kilometer, die Straße ist gut und es wartet auf uns das Intercontinental Hotel, wo wir dankenswerter Weise zwei Tage lang auf Einladung der Firma Youngsan bleiben werden.

Wer uns jetzt beneidet: wer das Intercontinental und das Sheraton will muss auch Bachtiyurts Straßenkehrerhütte, die Fernfahrerquartiere und die urigen Ziegenhirtenbehausungen auf dreitausend Metern Höhe nehmen. Außerdem warten noch jede Menge russische Buden und mongolische Yurten auf uns. Morgen machen wir uns dann auf den Weg.

Nach Bischkek

Wir haben gut geschlafen und brechen auf nach Bischkek. Etwa dreihundert Kilometer liegen noch vor uns und zwei Pässe mit denen wir nicht gerechnet haben und die sich gewaschen haben. Zwar ist die Straße gut aber die Anfahrt zum ersten Pass zieht sich endlos und geht auf über dreitausend Meter. Die Passhöhe ist schneebedeckt, es bläst ein Sturm, es ist bewölkt und schneit etwas.

Auf der anderen Seite geht es nur langsam runter, wir fahren eher durch ein weites Hochtal, das sich nur langsam senkt. Wir tanken um unser letztes kirgisisches Geld, das uns die Räuber gelassen haben, bevor die Straße nach links abbiegt und sich einen weiteren irren Pass hochwindet.

Es ist relativ viel Verkehr und viele Fahrzeuge stehen am Straßenrand wegen einer Panne oder einem Reifenschaden. Unsere koreanischen Gummischuhe auf der BMW (Shinko Reifen!) haben jedoch nicht nur den Pamir Highway grandios gemeistert sondern bewähren sich auch hier in Kirgisistan. Problemlos erreichen wir die Passhöhe, wo ein weiterer kilometerlanger dunkler Tunnel auf uns wartet. Aus dem Höllenloch kommt ein irrer Lärm wie von zwanzig Turbinen. Ventilatoren im Tunnel bemühen sich, den Staub und die Abgase rauszublasen, das gelingt aber nicht wirklich. Vor dem Eingang zeigt eine Ampel auf Rot, man bedeutet uns aber reinzufahren, also tun wir das. Als wir die Gaskammer am anderen Ende verlassen bin ich halb tot und taub. Sofort geht es in unzähligen irren Serpentinen in ein tiefes Tal, wenigstens ist die Straße ganz okay. In der Hinsicht kann niemand dem Pamir das Wasser reichen. Hier und da kommen jetzt wieder ein paar Regenwolken aber die gehen vorüber und endlich sehen wir vor uns erstmals nach vielen Tagen ein weites ebenes Land. Die letzten sechzig Kilometer nach Bischkek fahren wir bei zunehmender Verkehrsdichte auf einer ebenen Straße, immer in Sichtweite hoher Berge rechts von uns.

In Bischkek findet unser Navi das Grand Hotel, das nicht so abgehoben ist wie es klingt, aber ein nettes Zimmer mit Garten bietet. Dort sitzen wir jetzt unter einem Sonnenschirm und schreiben unsere Berichte. Gegenüber ist ein koreanisches Restaurant und You Song ist selig. Ich auch. Morgen geht es weiter nach Almaty in Kasachstan.

Der Raubüberfall

 Als wir am Morgen von Osch aufbrechen wollen beginnt es leicht zu regnen. Wir warten kurz, entscheiden uns dann aber doch aufzupacken. Zuerst verfahren wir uns und stehen nach ein paar Kilometern plötzlich vor der tadschikischen Grenze. Da wollen wir aber nicht hin, deswegen kehren wir wieder um. Der clevere Norbert erinnert sich, beim Hereinfahren nach Osch eine Abzweigung nach Bischkek gesehen zu haben, also quälen wir uns eine Stunde durch den Stadtverkehr und schwenken auf die richtige Straße. Inzwischen regnet es Schusterbuben und der clevere Norbert hat seine Regenhose tief im Gepäck vergraben, also gibt es nasse Beine.

Wieder ist die Landschaft wunderschön, jedenfalls das, was wir zwischen den Regenwolken davon sehen können. Leichte grasbewachsene Hügel, kleine Dörfer und Felder. Wir fahren um eine Kurve, die Straße ist leicht abschüssig und dann passiert es. Zwei Straßenräuber haben eine Falle aufgestellt. Schon winkt uns der eine mit seiner roten Kelle zur Seite. Sein Kirgisisch verstehe ich nicht, aber er zeigt mir ein Bild auf seinem Radargerät: wir auf der BMW, daneben steht „63“. Fünfzig wären erlaubt gewesen. Wir diskutieren, er auf Kirgisisch und Russisch, ich auf Deutsch und Englisch, kommen aber auf keinen grünen Zweig. Das einzige deutsche Wort das er kennt ist „Strafe“, das habe ich mir aber ohnehin schon gedacht. Unsere Pässe will er nicht sehen, aber den Zulassungsschein der BMW und meinen Führerschein. Ich gebe ihm beides – und das war ein Fehler. Jetzt hat er Geiseln, die er nicht mehr rausrücken wird bis er uns kräftig geschröpft hat. Er erzählt mir irgendwas von Protokoll schreiben und zeigt mir seine Fangquote des Tages: einige Protokollzettel mit angehefteten kirgisischen Führerscheinen. Ich kriege mit dass man anscheinend die Strafe bei der Bank einzahlen muss bevor man seinen Führerschein irgendwie wiederkriegt. Das geht nun bei uns gar nicht und ich schlage vor, das anders zu regeln. Das versteht er wiederum sofort und er zeigt mir in einem kleinen Heft ein Bild von einem Motorrad, wo „5000 Som“ daneben steht. Ich nehme an, das ist der Strafenkatalog, es könnte aber auch nur ein Motorrad sein das fünftausend Som kostet und er gerne haben möchte. Wir haben nur tausendfünfhundert Som und ich schlage Dollar vor. Der Räuberhauptmann kommt dazu (er hat die eindrucksvollere Uniform) und schreibt ohne zu zögern „100“ in den Staub seines Fahrzeuges. Ich beginne zu jammern und zeige meine Geldbörse, wo nur etwa sechzehn Dollar und tausendfünfhundert Som drin sind. Ungerührt zeigt der Räuberhauptmann auf You Song, die auf der anderen Straßenseite beim Motorrad der Dinge harrt, die da kommen. Der Mann weiß wer das Geld hat. You Song kommt herüber und kramt weitere fünfzig Dollar aus ihrer Bauchtasche. Gottseidank haben wir alles andere vielfältig verteilt im Gepäck. Wenn die Räuber wüssten dass im Futter meiner Motorradjacke mehr als dreitausend Dollar eingenäht sind würden sie mich bis auf die Unterhose ausziehen. Wir einigen uns also auf sechzig Dollar plus die tausendfünfhundert Som, die die Räuber in meiner Brieftasche gesehen haben. Ich darf alles auf den Rücksitz des Räuberautos legen und bekomme meine Papiere zurück. Bevor wir weiterfahren erkundigen sich die Räuber noch nach dem Preis des Motorrades und bedauern danach wahrscheinlich dass sie uns so billig davokommen haben lassen.

Inzwischen hat der Regen nachgelassen und streckenweise kommt sogar die Sonne heraus. Es wird hügelig und schließlich biegen wir in ein Tal ein, das immer mehr zum Gebirgstal wird.

Über hundert Kilometer lang fahren wir so dahin, eine wunderschöne Berglandschaft mit kleinen Dörfern dazwischen. Gegen Abend umfahren wir einen See und es stellt sich die tägliche Frage: wo werden wir übernachten? Das Navi sagt uns „Hotel 113 in achtundzwanzig Kilometern“ und Recht hat es.

Wir bekommen noch eine Kammer unter dem Dach, denn das Hotel ist gut besucht. Soviel Auswahl gibt es in dieser Gegend nicht. Ein Abendessen ist auch noch drin und dann ruhen wir bis zum Morgen in unseren zwei Holzkisten.

Über den Pamir nach Osch

In Murghab finden wir das Pamir Hotel, ein kleines Haus mit richtigen Zimmern und Betten, allerdings wird es nicht beheizt und es ist schweinekalt. Die Dusche bleibt daher trocken, aber immerhin haben wir ein Klo im Zimmer und muessen nicht ueber einen Hof zur Aussentoilette (sprich: Loch im Boden) wandern. Der Manager des Hotels ist Tadschike und spricht erstaunlicherweise nicht nur Englisch sondern auch Deutsch. Er hat Deutsch in der Schule in Osch gelernt und wir unterhalten uns lange ueber seine Plaene fuer den Ausbau des Tourismus im Pamir. Ausser uns sind noch einige Russen da, die aber mit einem Auto unterwegs sind. Er informiert uns auch ueber den Zustand der Strasse und der Paesse, die noch vor uns liegen. Alles klar, meint er, nur die Abfahrt vom letzten Pass auf tadschikischem Gebiet, wo auch der Grenzuebergang nach Kirgisistan ist, sei schwierig, meint er. Wie sich herausstellen wird hat er nicht uebertrieben.

Beim Losfahren freuen wir uns ueber eine relativ gute Strasse bis zum viertausendsechshundertfuenfzig Meter hohen Akbaytal Pass.

Wie ueblich ist die eigentliche Passhoehe wieder Schotterpiste aber wir ueberqueren sie ohne Probleme. Die naechsten hundert Kilometer bieten einerseits herrliche Ausblicke auf die Bergspitzen des Pamir Gebirges und schliesslich eine Fahrt entlang des Karakul-Sees, der immer noch gefroren ist.

Der Himmel ist blau und wolkenlos, die Berge weiss und schneebedeckt und die Sonne scheint strahlend. Zwei Paesse liegen noch vor uns, der Uy Bulog Pass mit viertausendzweihundert Metern Hoehe und der Kizil Art Pass mit viertausenddreihundert Metern an der Grenze zu Kirgisistan. Die Piste waere nicht so schlecht – an die vielen Schlagloecher haben wir uns schon gewoehnt – aber kilometerlang ist sie durchpfluegt mit aeusserst unangenehmen Querrillen, die uns und die BMW so herbeuteln, dass mein Mittagessen wieder hochkommen wuerde, haette ich eines gehabt. Schliesslich ist auch das geschafft, wir ueberqueren den vorletzten Pass und machen uns an den Aufstieg zum letzten. Der ist nicht viel anders als die vorherigen und schon sind wir auf der Passhoehe, wo ein paar Buden und Container fuer die Grenzabfertigung stehen. Wir halten an und jetzt sehe ich, was der Hotelmanager in Murghab mit schwierig gemeint hat. Die ganze Flaeche beim Grenzuebergang ist durchpfluegt mit einen halben Meter hohen Schlammspuren. Gottseidank hat es seit einigen Tagen nicht geregnet und daher sind die Spuren heute trocken. Ich holpere also bis zur anderen Seite der Grenze und wir erledigen die Zollformalitaeten. Geschafft, denke ich, aber weit gefehlt. Die Abfahrt vom Kizil Art Pass auf der kirgisischen Seite ist ein Alptraum. Hier queren Baeche der Schneeschmelze von den Berghaengen ringsum die Piste, die sich noch dazu in steilen Serpentinen talwaerts windet. Ich finde zwar meist eine trockene Spur zum Runterfahren aber an manchen Stellen bleibt mir keine Wahl: hinein in den Schlamm, Augen zu und durch. Wie durch ein Wunder graebt sich unser Motorrad vorwaerts und ich schaffe es ohne Sturz oder Steckenbleiben bis ins Tal. Waere das Wetter nur etwas anders – feuchter – gewesen, wir haetten keine Chance gehabt hier runterzukommen.

Ich bewundere einmal mehr You Song, die ohne Panik hinter mir sitzt und mich immer wieder beruhigt und aufmuntert. Ich bin schweissgebadet und total verkrampft, als wir endlich auf einer etwas normaleren Strasse unterwegs sind. Noch eine Zollkontrollstation in Kirgisien und nach zehn Dollar Zollgebuehr sind wir auf dem Weg nach Sary Tasch, der ersten groesseren Siedlung in Kirgisien. Sary Tasch liegt am Rand eines Berghanges auf der anderen Seite eines grossen Tales und wir bewundern das herrliche Bergpanorama des Pamir, der sich hier bis China erstreckt. Hier finden wir wieder ein „Hotel“, das allerdings eher den Charakter eines Bauernhofes hat.Vier Ungarn mit ihren Motorraedern sind schon da, die allerdings den umgekehrten Weg von Osch ueber den Pamir Highway vorhaben. Der Leiter der Gruppe kennt allerdings die Strecke genau, weil er sie schon oefters befahren hat. Schiesslich kommen noch vier andere Reisende dazu, drei Burschen und ein Maedchen, die ohne Fahrzeug unterwegs sind und aus China heruebergekommen sind. Sie organisieren sich immer wieder Transportmoeglichkeiten und kommen so schrittweise voran.  Wir tratschen und tauschen unsere Erfahrungen aus, bevor wir uns auf unser Lager begeben – zwei Matratzen am Boden in einem Durchgangszimmer, das wie eine Mischung aus Kueche und Wohnzimmer aussieht. Egal, fuer zehn Dollar pro Person inklusive Abendessen und Fruehstueck passt es schon, ueberhaupt wenn man den herrlichen Ausblick auf das schneebedeckte Pamir Gebirge bedenkt, den es gratis gibt. Das Klo ist diesmal etwas anders: aus dem Haus, ueber den Hof, durch ein Gatter drei Meter nach unten an zwei Kuehen vorbei, die in der Nacht erschreckt schnaufen, wenn man mit der Taschenlampe vorbei geht, dann noch ueber zwei Laufplanken und voila, schon ist das Loch im Boden da, sogar mit Beleuchtung.

Der Morgen bringt wieder herrliches Wetter, You Song schenkt der Dame des Hauses ihre alte Daunenjacke, die schon unsere Tochter Sora ausgemustert hat und wir sind unterwegs Richtung Osch in Kirgisien. Ab hier ist die Strasse ein Traum: voll asphaltiert, keine Schlagloecher und eine herrliche Landschaft. Zuerst geht es noch ueber den Taldyk Pass, der uns aber mit seinen dreitausendsechshundert Metern nicht mehr schreckt. Danach fahren wir durch wunderschoene Taeler die schoen langsam wieder gruen werden, wir sehen auch endlich wieder die ersten Buesche und Baeume. Streckenweise kommen wir uns vor wie im Hochgebirge in den Alpen, nur die Haeuser sind anders gebaut und die Landschaft wirkt insgesamt rauher und wilder. Wir begegnen vielen Schulkindern, die uns zuwinken und kommen kaum nach mit dem Zurueckwinken. Bis Osch sind es etwa zweihundert Kilometer, die aber auf der perfekten Strasse kein Problem sind. Der kirgisischen Stadt Osch fehlt nur ein „M“ zur Perfektion, wir haben also grosse Erwartungen und sind gespannt.

In Osch suchen wir ein Hotel und werden fuendig. Nach den Strapazen der letzten Tage wollen wir uns richtig ausruhen und das Hotel, dessen Namen ich nicht entziffern kann, weil er kyrillisch geschrieben ist, bietet all das inklusive Pool. In drei Tagen wollen wir wieder aufbrechen, Richtung Bischkek, das sind etwa sechshundert Kilometer. Wir werden also mindestens eine Zwischenuebernachtung brauchen, die Strecke nach Bischkek soll aber wunderschoen sein.

Chorough – jetzt aber!

Unser nächstes Tagesziel ist Chorough, von wo sich der Pamir Highway nach Osten so richtig ins Gebirge schwingt. Wir machen uns also auf den Weg – die zweihundertvierzig Kilometer sind schnell abgespult, denken wir – und schon brettern wir durch die ersten Schlaglöcher. Links Tadschikistan, rechts Afghanistan, dazwischen ein Fluss und ein Saumpfad, der sich M 41 nennt.

Irgendwann mal war er wohl asphaltiert, denn zwischen Schotter, Sand und Erdlöchern lugen dann und wann ein paar Meter Asphalt hervor. Unmöglich, schneller als Schrittgeschwindigkeit zu fahren, noch dazu kommen manchmal Zwanzigtonner mit Anhänger um eine Kurve in der Felswand. Dann müssen wir uns so weit wie möglich an den rechten Straßenrand pressen ohne in den Grenzfluss zu fallen und nach Afghanistan abgetrieben zu werden.

Nach fünf Stunden Zuckelfahrt ist uns klar: das wird heute nix mehr mit Chorough. Wir beginnen uns daher nach einer Unterkunft umzusehen, das ist aber nicht so einfach. Wir kommen zwar durch Dörfer, aber nirgendwo ein Hinweis auf ein Guesthouse oder eine andere Übernachtungsmöglicheit. Als es langsam dunkel wird befrage ich unser Navi. Wenn es uns jetzt eine brauchbare Adresse liefert verzeihe ich ihm den Umweg vor der tadschikischen Grenze. Und wirklich: in vierzehn Kilometern gibt es was, sagt das Navi. Wir fahren noch an einem See entlang und kommen nach Rushan. Ein erlösendes Schild: “ Guesthouse“ neben der Straße und schon haben wir ein feines Zimmer im ersten Stock mit Balkon. Die Hausfrau war Abgeordnete, ist jetzt in Pension und bekocht uns zwei Tage lang, während denen wir uns auf den hohen Abschnitt des Pamir Highway vorbereiten.

Schließlich geht es wieder los. Bis Chorugh ändert sich nichts, wir fahren entlang der afghanischen Grenze durch ein schroffes Tal. Phasenweise wird die Straße etwas besser, aber nur bis zu den nächsten Schlaglöchern, die heimtückisch auf uns warten. Dann beginnt der Anstieg ins Pamir Gebirge.

Wir haben eine Karte mit dem Höhenprofil der Strecke und schaudern vor dem langen Teil, der über dreitausendfünfhundert Meter liegt, deshalb wollen wir noch ein oder zweimal vorher übernachten, bevor es wirklich über die hohen Pässe geht. Wir finden aber kein Quartier. Immer höher windet sich die Straße, das letzte Stück über den ersten Pass auf viertausenddreihundert Meter ist wieder grimmigster Schotter. Dahinter geht es leicht bergab, aber nur bis auf etwa dreitausendneunhundert Meter. Wir halten verzweifelt Ausschau nach einer Übernachtungsmöglichkeit, aber da ist nichts. Grandiose Berge links und rechts, eine wüste Hochebene dazwischen aber kein Dorf weit und breit. Wir sehen Schaf- und Ziegenherden und sogar eine Herde Yaks. Sobald die Sonne hinter den Berggipfeln verschwindet wird es empfindlich kalt. Dann, nach einer Kurve um einen Hügel, ein paar Häuser. Wie sich herausstellt sind wir in Alichur, und hier soll es Homestay geben. Ich fahre von der Straße auf den Schotterweg durchs Dorf und sehe auch schon eine einladende Schrift an der Außenwand eines Gehöfts.

Wir klopfen und tatsächlich, wir können hier übernachten. Das Zimmer ist einfach aber warm und wir bekommen auch Tee und ein Abendessen.

Die Höhe macht uns schon zu schaffen, jede kleinste Bewegung ist anstrengend, aber wir schlafen erstaunlich gut auf den Matten am Boden. Am Morgen bringt uns der Hausherr ein Frühstück – Tee mit Gebäck und Reissuppe – bevor er seine Ziegen hüten geht. Wieder wundern wir uns wie einfach man leben kann, die Menschen hier sind an die Höhe gewöhnt und haben das was sie brauchen. Der Unterschied zu unserer westlichen Überfluss-Luxusgesellschaft ist schon gewaltig.

Das Aufpacken unserer Gepäckstücke am nächsten Morgen dauert noch länger als sonst, nach jeweils drei Handgriffen machen wir schnaufend Pause. Wir sind froh dass wir keine richtige Höhenkrankheit bekommen haben und beim Weiterfahren haben wir keine Probleme. Heute fahren wir nur etwa hundert Kilometer nach Murghab, das ist eine kleine Stadt die auch etwas tiefer liegt (auf nur etwa dreitausendfünfhundert Meter). Dort wollen wir uns auf die letzte Etappe des Pamir Highway vorbereiten, die uns auch über den höchsten Pass (viertausendsechshundert Meter) führen wird.

Auf nach Chorough – oder doch nicht?

Der nächste Tag. Es ist dreiviertel sechs (am Morgen!!!) und es klopft an der Tür. „Der KGB holt uns ab!“ denke ich und stehe Habt Acht im Bett. Es ist aber nur der Chef, der uns aufmerksam macht dass es jetzt Wasser gibt, aber nicht lange. Also flugs aus den Federn, waschen und Klo gehen solange aus dem Hahn was rauskommt. Zur Sicherheit steht zwar auch ein Kübel Wasser in der Badewanne, aber der ist nur Reserve. Wir frühstücken mit dem Chef, der uns noch eine Portion Mandeln mit auf den Weg gibt. Rasch noch ein paar Fotos und los geht’s.

Es sind noch etwa siebzig Kilometer nach Kulob und die Straße ist okay. Wir cruisen dahin, nur gelegentlich gestoppt von den unzähligen Polizei- und Militärkontrollen. Alle sind aber freundlich, wollen nur unsere Pässe auswendig lernen und unsere Namen in dicke Bücher schreiben. Ein Soldat will unbedingt Fotos mit uns machen, kommt dann aber drauf dass die Kalaschnikow eigentlich nicht drauf sein sollte und ersucht mich, sie wieder zu löschen, You Song hat ihn aber auf ihrem Handy voll bewaffnet drauf, hihi.

Wir kosten noch von den Früchten eines Maulbeerbaums und von den Teigtaschen der Soldaten, dann fahren wir weiter. You Song leider mit einem Schneidezahn weniger, den hat sie sich gerade ausgebissen. Ich liebe sie trotzdem und tröste sie mit der Aussicht auf eine Reparatur in Korea.

Von Kulob zweigt eine Nebenstraße ab Richtung M41 und Pamir. Vor der habe ich mich schon tagelang gefürchtet, denn auf der Straßenkarte ist sie gelb als „Nebenstraße“ eingezeichnet, während alles was wir bisher gefahren sind – auch der Trampelpfad durch die Hügel gestern – rot als „Hauptverkehrsstraße“ prangt. Wie wird die wohl aussehen? Brauchen wir dafür Steigeisen?

Es geht erstaunlich gut asphaltiert den Berg hoch, wird aber bald schottrig, wenn auch nicht so extrem wie gestern. Auf der Passhöhe dann wieder mal ein Schlagbaum und dahinter der Himmel. Eine nagelneue asphaltierte Traumstraße, die auch in Europa nicht besser sein könnte. Entgegen unserer Befürchtung dass das wohl nur ein paar Kilometer sein werden geht der Asphalttraum fast die ganze Strecke bis zur Kreuzung mit der „harten“ Strecke von Duschanbe.

Nur die letzten paar Kilometer schleichen wir wieder über Schotter und Schlaglöcher. Zuvor aber fahren wir durch ein großes Panorama: ein grünes Tal mit Dörfern an einem Fluss, eingerahmt von majestätischen Bergriesen bei blauem Himmel und herrlichem Sonnenschein. Das ist der beste Tag unserer Reise bisher und allein deswegen haben sich die zehntausend Kilometer Anreise gelohnt. Mehrere Stunden fahren wir entlang der Grenze zu Afghanistan, nur durch den schmalen aber reißenden Fluss getrennt. Fallweise sehen wir auch drüben Dörfer und Menschen oder Soldaten.

Bei der Kreuzung mit der M41 steht ein kleines Dorf, wir tanken und obwohl es noch früher Nachmittag ist wollen wir eigentlich nicht mehr weiterfahren. Ein kleines Gästehaus ist schnell gefunden und für den Rest des Tages ruhen wir uns aus.

Das KGB-Verhör

Von Duschanbe führt die M41 nach Osten und dann südöstlich nach Chorugh. In der Bikerwerkstatt haben wir erfahren dass das die harte Route ist und nachdem wir das Foto von der KTM des russischen Kollegen im Schlamm gesehen haben waren wir sicher: dort fahren wir nicht. Wir sollten daher von Duschanbe gleich südlich fahren und in einem Bogen dann wieder nordöstlich nach Kulob. Die Straße ist gut, hat man uns gesagt, nur von Kulob nach Chorugh ist ein Stück Sandstraße. Auf der Karte sehen wir dass diese Strecke nahe der Grenze zu Afghanistan liegt, aber der Pamir Highway im späteren Verlauf geht ja auch direkt an der afghanischen Grenze entlang.

Wir fahren also los und die Straße ist wirklich nicht schlecht. Ziemlich eben führt sie durch ein großes Tal und durch viele kleine Dörfer und Städte. In Qurghon-Teppa sehen wir einen Wegweiser nach Kulob, unser Navi will aber weiter südlich fahren. Ich überprüfe die Karte am Handy und sehe dass hier eine kleine Straße über die Berge direkt nach Kulob geht. Wir beratschlagen kurz und sind uns einig: wir fahren keine kleinen Nebenstraßen über die Berge, auch wenn die hier noch nicht so hoch sind, sie sehen eher wie kahle Hügel aus. Also weiter dem Navi nach nach Süden, der clevere Norbert hat das ja im Hotel programmiert. Wie vorgesehen schwenken wir bald danach nach Osten und die Dörfer werden kleiner, die Straße schlechter. Dafür entschädigt uns die Landschaft mit grandiosen Ansichten. Die tiefstehende Sonne badet die Berge in goldenes Licht, ein Traum für jeden Fotografen. Plötzlich stehen wir vor einem Schlagbaum. Daneben scheint die Grenze zu Afghanistan zu sein, die Straße geht aber in Tadschikistan weiter. Die beiden Grenzposten lernen wieder unsere Pässe auswendig – von Austria hat auch hier noch nie jemand gehört- und schreiben unsere Daten in noch ein dickes Buch. Dann dürfen wir weiterfahren.

Es kommen noch ein paar Dörfer, die Straße biegt wie vorgesehen nach Nordosten ab – und dann wird es abenteuerlich. Plötzlich sind wir auf einer schmalen Schotterpiste, die sich durch die baumlosen Hügel schlängelt. Die Gegend ist atemberaubend schön, es weiden Pferde, Schafe und Ziegen ohne sichtbare Hirten und wir fahren einen wilden Slalom, meist im Schritttempo, Mal rauf und Mal runter. Die Schlaglöcher sind gewaltig, wir kommen an einem Fähnchen vorbei das mitten in der Straße steckt und ein Loch markiert in dem wir samt unserer BMW als Ganzes verschwinden falls wir hineinfahren würden. Kein Mensch würde jemals wieder von uns hören. Fall die Mutter der turkmenischen Schlaglöcher das sehen würde, ginge sie weinend in ihre Küche und käme nie wieder heraus.

Ich habe keine Ahnung, wie weit wir so durch die Berge fahren müssen, die Alternative ist aber, hier ein Zelt aufzuschlagen, denn mittlerweile naht der Abend. Nach einer geschätzten Stunde – es ist noch hell – sehen wir vor uns eine große Ebene durch die ein Fluss fließt. Noch etwa zwanzig selbstmörderische Kehren auf Schotter und wir sind unten. Endlich wieder Asphalt, da geht es schneller voran, jubeln wir. Zu früh, der Asphalt ist nur in Bruchstücken vorhanden ansonsten Schotter und Steine, wie gehabt. Wenigstens wieder Dörfer, aber nirgends eine Unterkunft zum Übernachten. Die nächste Polizeikontrolle kommt wie das Amen im Gebet und ich nutze die Gelegenheit um dem Amtsorgan mein inzwischen perfektioniertes Tadschikisch vorzuführen: Zeigefinger auf mich und You Song, den Kopf schief in die offene Handfläche gelegt und „Chrrr, Chrrr“ gesagt, dazu ein kreisender Zeigefinger und ein Schulterzucken. Es klappt. Das Amtsorgan antwortet mit zweimal Händeklatschen, einem Schwall Tadschikisch und einem undeutlichen Deuter nach vorne. Das kann nun alles heißen, wir übersetzen es aber mit „In zwei Kilometern im nächsten Dorf links.“ Etwas Optimismus muss sein.

Das nächste Dorf – Parchar – ist tatsächlich etwas größer und hat sowas wie einen Hauptplatz. Nochmal kurz nachgefragt und schon radelt ein junger Tadschike vor uns bis zu einem stattlichen Haus, das ich als Verwaltungsgebäude der lokalen Konsomolzen oder als staatlichen Hochzeitspalast identifiziert hätte. Es ist aber tatsächlich ein Hotel.

Unser Wunsch nach einem Zimmer erregt allerdings Ratlosigkeit. Auf der Terrasse sitzt ein würdiger Tadschike, anscheinend der Chef, der mir viele tadschikische Fragen stellt. Ich antworte mit dem, was mir gerade einfällt und hoffe, dass etwas Passendes dabei ist. Zu uns gesellt sich ein weiterer Tadschike in Uniform, ob Polizist, Gendarm oder Postbeamter kann ich nicht feststellen, und fragt mich ebenfalls viele Dinge. Netterweise bietet er uns von seinem Abendessen an, was wir aber dankend ablehnen. Wir sitzen auf der Terrasse und warten. „Die werden wohl unser Zimmer herrichten“ denke ich, als uns plötzlich ein junger Mann in Zivil auf Englisch anspricht. Neben ihm steht ein anderer, der ein Gesicht macht wie sieben Tage Regenwetter. „KGB“ sagt er freundlich, „Wir hätten ein paar Fragen.“.

„Kein Problem.“ antworte ich, sehe mich aber schon in einer feuchten Zelle sitzen. Es stellt sich heraus, dass wir uns in einem Teil Tadschikistan bewegen, wo wir wegen der nahen Grenze zu Afghanistan nicht sein dürften. Nur hat uns das keiner gesagt. Ich biete meinen ganzen Charme auf um zu erklären warum wir hier und nicht auf der Touristenroute sind und er wirkt. Sie nehmen uns ab dass wir harmlos sind und ermahnen uns morgen möglichst direkt nach Kulob und weiter nach Chorough zu fahren, was wir ohnehin vorhaben. Netterweise gibt uns der Jüngere dann auch noch seine Telefonnummer, falls wir unterwegs nochmal Schwierigkeiten bekommen sollten. Das Gesicht des Älteren verändert sich immerhin zu sechs Tagen Regenwetter plus ein Tag leichtes Nieseln, bevor er uns Auf Wiedersehen auf Russisch sagt. Warum nur rieselt es mir dabei kalt den Rücken runter?

Als alles geklärt ist bekommen wir unser Zimmer. Kein Vergleich zum Sheraton der letzten Tage, aber es kostet immerhin auch nur ein Zehntel. Mal sehen was uns morgen erwartet.