Sibiriens Steiermark

Von jetzt an ändert sich die Landschaft grundlegend. Wir wissen noch nicht dass die nächsten zwei Tage zu den schönsten unserer gesamten Reise zählen werden. Wald, Berge, ein Fluss der nicht reguliert ist sondern sich sein Bett je nach Jahreszeit selber sucht (und jetzt im Frühling führt er viel Wasser), dazwischen wir auf dem Motorrad, das nach wie vor klaglos auf der perfekten Straße läuft.

Die Russen haben Sinn für Humor, wie man hier sieht,

leider können wir noch immer nicht genügend Russisch um um das tägliche Essensroulette herumzukommen. Immerhin, Suppe und Schaschlik können wir schon bestellen, was für Fleisch auf dem Spiess drauf ist lässt sich aber nicht feststellen. Bei einer kleinen Rast auf einem Pass kauft You Song ein Glas Honig als Notration, ich halte mich zurück um nicht mit original russischen lammfellgefütterten Pelzstiefeln weiterzufahren (auf dem Foto ganz links). War aber gut möglich dass die Made in China waren.

Am Abend finden wir ein Gasthaus am Fluss, wo wir unterkommen.

Nach dem Abendmahl (Essensroulette: You Song gewinnt eine Suppe und einen Hendlhaxen, ich eine Art Gulasch mit Kartoffelpüree und etwas undefinierbares Langoschartiges) gehen wir runter zum Fluss und machen ein Lagerfeuer.

Der Mond geht über dem Bergkamm auf und spiegelt sich im Fluss – richtig romantisch.

Leider ist aber Vollmond. Da erwacht das Tier in mir.

Heute übernachten wir dann zu dritt: You Song, ich und eine fette schwarze Spinne, die an der Decke über unserem Bett sitzt als wir reinkommen. Ich flüchte sofort und You Song will sie mit einem Besen aus dem Fenster bugsieren. Das fiese Vieh lässt sich aber zu Boden fallen und verschwindet hinter den Heizungsrohren. Ich schlafe abwechselnd mit einem offenen Auge und bin daher am nächsten Morgen nicht sehr ausgeruht. Als es hell wird und ich sehe dass das Monster schon wieder an der Decke klebt bin ich in Rekordzeit aus dem Bett und angezogen, bevor es mich beißen kann. Rasch aufs Motorrad und abgefahren, wer weiß schon wie schnell acht Beine laufen können.

Zum Altai Gebirge

Von Barnaul gibt es Wesentliches zu berichten: nach acht Wochen jeweiliger Lokalkost sind wir heute beim Subway eingekehrt. Ich hab mich natürlich gleich überfressen, weil ich auch noch eine Pizza nachgeschoben habe. Fazit: gut war’s doch, trotz Magendrücken. Da wir ein ausgesprochen feines (aber nicht teures) Quartier haben, kann ich dann auch in Ruhe der Darmentleerung frönen, ohne mich mit Nachbarn kommunikativ austauschen zu müssen. Irgendwie fühle ich mich dabei aber doch ein wenig einsam, so ganz alleine mit dem vielen Porzellan und den kalten Fliesen.

Am Morgen ist dann wieder alles gut und wir machen uns auf den Weg ins Altai Gebirge und Richtung mongolische Grenze. Noch immer ist die Straße perfekt, es ist allerdings wieder saukalt geworden. Gestern plus dreißig Grad und Sonne, heute knappe neun Grad und bewölkt. Es regnet zwar nicht aber es bläst wieder ein unangenehmer Sturmwind – meist von der Seite – der einen gleich noch einige Grade weniger fühlen lässt. Wir haben also heute wieder das volle Programm mit Thermounterwäsche an (danke, Eun Song und Krisztian!), sehen aus wie zwei Michelin Männchen, frieren aber nicht. Mittags machen wir Pause in einer feinen Raststätte, wo auch andere Biker speisen. Vor dem Eingang steht dieses schöne Stück:

Wir nehmen aber dann doch lieber unsere BMW, die noch immer klaglos Kilometer für Kilometer herunterspult. Nachmittags wird das Wetter besser als wir uns langsam der Altai-Region nähern. Die Landschaft wird hügelig und von einem Plakat neben der Straße grüßt Wladimir Putin. Noch etwa fünfhundert Kilometer bis Taschanta, dem Grenzübergang, und aller Voraussicht nach wird das eine landschaftlich sehr reizvolle Strecke. Morgen wird es auch wieder wärmer, wenn man den Meteorologen glauben darf. Wir werden sehen.

In Putins Reich

Wir kommen an die russische Grenze und nach etwas Grenzbürokratie fallen uns sofort wesentliche Unterschiede zu Kasachstan auf. Das Land ist flächendeckend bebaut, es gibt riesige Felder, die allerdings jetzt abgeerntet sind. Die Straße ist perfekt, wie in Europa, mit richtigen Verkehrsschildern und Wegweisern und die Häuser in den Dörfern sind fast alle gepflegt und nett. Nach einigen Wochen in uriger Umgebung geniessen wir das gewohnte zivilisierte Umfeld. Kurz nach der Grenze hält uns auch schon der erste Verkehrspolizist auf, aber als er merkt dass wir kein Russisch sprechen lässt er uns gleich weiterfahren. Wenn der mein perfektes Tadschikisch wüsste – Russisch soll ja nicht so viel anders sein. Vielleicht „Charr charr“ oder so statt „Chrrr, chrrr“, denke ich.

Unser nächstes Ziel ist Barnaul, das erreichen wir heute aber nicht. Zweihundert Kilometer durch die russische Landschaft und kein Nachtquartier in Sicht. Wir wissen beide schon nicht mehr wie wir auf dem Motorrad sitzen sollen, da taucht linker Hand ein Parkplatz auf und dahinter ein kleines Haus das Zimmer vermietet. Perfekt. Ein Abendessen gibt’s auch (ich hab im Essensroulette gefüllte Paprika mit Erdäpfelpüree gewonnen und You Song eine Rübensuppe mit Eintopf) und wir schlummern satt und zufrieden bis zum Morgen.

Am nächsten Tag besuche ich vor dem Losfahren die Toilette, wo eine Klofrau sitzt und ihren Obolus kassiert. Ich zahle, bekomme Klopapier, öffne die Tür und – Überraschung! Statt einem privaten Thron sehe ich drei Hockklos nebeneinander, zwar mit diskreter Seitenwand aber ohne Tür. Im dritten müht sich auch wirklich gerade einer mit seinem Geschäft ab. Auch schon egal, denke ich, grüße freundlich und nehme Nische Nummer eins. Bis auf die gewöhnungsbedürftige kommunikationsfreundliche Anordnung ist alles blitzsauber, also halb so schlimm.

Wir brechen auf und wieder ist das Wetter schön und die Straße gut. Wenn man allerdings auf die kreuzenden Nebenstraßen blickt, so hört der Asphalt dort nach zehn Metern auf und die schwarze russische Mutterende tut sich auf, durchsetzt von Steinen und Schlammpfützen. Ich hoffe inständig, damit keine nähere Bekanntschaft zu machen. Das tun wir aber auch nicht, sondern erreichen nach etwa drei Stunden Fahrt Barnaul. Da sitzen wir jetzt in einem kleinen blitzsauberen Hostel und ruhen uns aus. Morgen geht’s Richtung Altai Gebirge.